Aufgaben – Interview

„Heute ist es ein Qualitätsmerkmal“ – Schulsozialarbeiterin Brigitte Reißer spricht über ihre Arbeit und was sich dabei gewandelt hat

Von Julia Freyda

Altshausen – Fast 360 Schüler besuchen derzeit die Herzog-Philipp-Verbandsschule in Altshausen. Seit 2004 ist Brigitte Reißer für sie als Schulsozialarbeiterin tätig. SZ-Redakteurin Julia Freyda hat mit der Altshauserin über den Alltag und veränderte Aufgaben gesprochen.

FOTO: JULIA FREYDA
Julius (hinten von links), Fabian, Andreas und Fabrice sowie Jette (vorne von link), Sandra und Schulsozialarbeiterin Brigitte Reißer freuen sich über die mehr als 3625 Deckel und Schuhkartons mit Stiften, welche die Schüler eifrig mit anderen gesammelt haben. Solche Aktionen sind eine der vielfältigen Aufgaben der Schulsozialarbeiterin.

Was macht eigentlich eine Schulsozialarbeiterin an einer Schule in so einer ländlichen Region wie in Altshausen den ganzen Tag?

Die Fälle sind hier nicht in der Masse und Anzahl vorhanden wie in einer größeren Stadt, aber in der Ausprägung gleich. Wir haben hier genauso Kinder, um die sich nicht gekümmert wird, die geschlagen werden oder auf die schiefe Bahn geraten.

Was heißt das für Ihren Arbeitsalltag?

Jeder Tag ist anders, weil ich nie weiß, was auf mich zukommt. Heute Morgen hat mir ein Mädchen erzählt, was es sich zu Weihnachten wünscht. An anderen Tagen ist es Liebeskummer, Mobbing oder geht auch bis hin zur Kindeswohlgefährdung. Das Tolle ist, dass ich eine 100-Prozent-Stelle habe und von 6.45 bis 16 Uhr da bin. So decke ich die ganze Schulzeit ab und bin gut erreichbar, aber natürlich auch Ansprechpartner für Eltern und Lehrer.

Sie sind seit 2004 an der Schule. Wie hat sich die Arbeit gewandelt?

Eigentlich nicht viel. Streit mit Freunden oder Stress mit den Eltern gibt es immer mal. Bei den Jugendlichen hat aber eine gewisse Angst vor der Zukunft zugenommen. Außerdem verbreiten sich Konflikte viel stärker über Handy und soziale Medien. Das verhindert eine Konfliktfähigkeit mit dem Gegenüber, sodass die Hürde für ein persönliches Gespräch viel höher ist.

Wenn Sie solche Entwicklungen in der Schülerschaft spüren, wie können Sie darauf eingehen?

Wenn es innerhalb einer Klasse ist, dann lässt sich viel in einem gemeinsamen Gespräch lösen. Im Prinzip wollen wir aber nicht wie die Feuerwehr losrasen und löschen müssen, wenn es brennt. Unsere Idealvorstellung ist ein präventiver Ansatz. Ein fester Baustein davon ist soziales Lernen in den Klassen fünf und sechs. Aber auch die Ausbildung von Streitschlichtern gehört dazu. Früher wurde eine Schule fast schon als Brennpunkt gesehen, wenn sie einen Schulsozialarbeiter hatte. Heute ist es ein Qualitätsmerkmal.

Und wie gehen Sie mit der Zukunftsangst der Jugendlichen um?

Es ist wichtig, die Schüler ernst zu nehmen. Als Werkrealschüler wird ihnen oft das Gefühl vermittelt, dass aus ihnen nichts mehr wird. Dabei haben die Schüler viele tolle Eigenschaften, die nicht sofort in guten Noten durchschlagen. Der Übergang von der Schule zum Beruf ist für mich zum Steckenpferd geworden. Daher habe ich schon früh Bewerbungstraining angeboten, bei dem wir zum Beispiel zusammen ein Bewerbungsgespräch üben. Dabei erlebe ich bei den Schülern eine tolle Entwicklung zur Selbstständigkeit.

Mit Weihnachten im Schuhkarton oder der Plastikdeckel-Sammlung machen sie auch immer wieder soziale Projekte mit den Schülern. Warum?

Ich möchte, dass die Kinder und Jugendlichen über ihren oberschwäbischen Tellerrand hinausblicken und ein Gespür für die Lage ihrer Mitmenschen kriegen. Dabei setzen sie sich damit auseinander wie es ihnen selber geht und wie der Alltag zum Beispiel in manch anderen Ländern aussieht. Mit Rotary International sammeln wir zum Beispiel Plastikdeckel. Mit 500 Deckeln wird eine Kinderlähmungsimpfung finanziert. Einige Schüler haben stundenlang in Märkten Deckel abgeschraubt. Ich glaube, dass solch ein Engagement für andere auch für das eigene Leben prägt.

Schwäbische Zeitung vom 23.11.2018, Ausgabe Bad Saulgau